Kinostart: Berlinale Gewinner Black Coal Thin Ice 白日焰火 am 24. Juli
Der diesjährige Berlinale-Gewinnerfilm “Black Coal Thin Ice” läuft ab dem 24. Juli in den deutschen Kinos unter dem deutschen Titel FEUERWERK AM HELLLICHTEN TAGE. Dieser ist eine Annäherung an den chinesischen Originaltitel: 白日焰火, BAI RI YAN HUO. 白日, Bai Ri, heißt so viel wie „tagsüber, am helllichten Tag“ (wörtlich: „weißer Tag“). 焰火, Yan Huo, bedeutet „Feuerwerk“.
Kurzsynopsis
Als im Jahr 1999 im Norden Chinas auf mehreren Kohlehalden menschliche Leichenteile gefunden werden, sind die Verdächtigen schnell ausgemacht. Doch bei ihrer Festnahme kommt es zu einer Schießerei, bei der die vermeintlichen Täter und auch zwei Polizisten ums Leben kommen. Der leitende Kommissar Zhang Zili wird schwer verletzt. Fünf Jahre später hat er den Polizeidienst quittiert und ist dem Alkohol verfallen. Als ein ehemaliger Kollege ihm von einem Fall erzählt, der erstaunliche Parallelen zu den damaligen Morden aufweist, ermittelt Zhang auf eigene Faust. Die Spur führt ihn zu der mysteriösen Wu Zhizhen, die mit allen bisherigen Opfern in Verbindung stand. Zhang taucht immer obsessiver in den Fall ein und verliebt sich schließlich in die schweigsame Schöne.
Interview mit dem Regisseur
Ist der Film von wahren Begebenheiten inspiriert?
Kaum eine Geschichte ist vollkommen erfunden. Wenn man kreativ ist, steigen Fragmente des wahren Lebens, die im Unterbewusstsein vergraben sind, unweigerlich an die Oberfläche. Man könnte sagen, dass der künstlerische Prozess die Verarbeitung von Erinnerungen ist.
Es passiert zurzeit eine Menge in China. Manches ist sogar absurder als die Geschichten, die man nur in Filmen oder Büchern findet. Es ist nicht ungewöhnlich für Künstler, genau durch diese absurden, surrealen Geschichten des wirklichen Lebens die gewünschte Authentizität ihrer Werke zu erzeugen. Ich finde es sehr faszinierend, wie viele Möglichkeiten es eröffnet, wenn man Wahrheit und Absurdität miteinander verknüpft.
Warum beginnt die Geschichte mit einer zerstückelten Leiche?
Ich war schon immer fasziniert von den Launen der menschlichen Natur, die im Film noir hervorgehoben werden. Eine Leiche zerstückeln und die Teile verstreuen, oder jemanden mit einem Schlittschuh töten … Welche Art von Mensch ist zu so etwas Grausamen fähig? FEUERWERK gab mir die Möglichkeit, solche Fragen zu ergründen.
Warum haben Sie sich entschlossen, die Handlung in einer Provinzstadt weit weg von Metropolen wie Shanghai oder Peking spielen zu lassen?
Ich mag kleine Städte und Orte, die von den großen Ballungsgebieten abgeschnitten sind. Veränderungen geschehen dort langsamer, und Vergangenheit und Gegenwart können länger nebeneinander bestehen. Ich finde, das macht die Erinnerung zu einem flexiblen Gut, was es mir wiederum erleichtert, meine Themen zu erkunden. Wenn ich einen Gothic-Thriller hätte machen wollen, hätte ich einen trostlosen Ort, einen dekadenten, geheimnisvollen und wilden Ort gewählt. Aber meine Wahl des Settings hatte nichts zu tun mit der Soziologie einer Kleinstadt. Ich erzähle eine schreckliche Mordgeschichte, und die verlangt nun mal nach einem bestimmten Setting, das ihre Wahrheit unterstreicht. Ich glaube nicht, dass die Geschichte in einer weltoffenen Metropole funktioniert hätte. Ich habe mich für eine authentische Darstellung und gegen die Aufzählung von Fakten entschieden. Es gibt in China viele Orte, denen die surreale Qualität, die ich suchte, innewohnt. Ich bin froh, dass ich die Qual der Wahl hatte.
Der Film sieht aus und fühlt sich an wie ein Thriller, verfügt aber über einige deutlich nicht genre-typischen Eigenheiten, wie narrative Ellipsen und viele sorgfältig ausgewählte Weitwinkel-Einstellungen. Wie finden Sie die Balance zwischen persönlichem Stil und den Anforderungen des Genres?
Bevor ich zu filmen begann, schaute ich mehrmals DIE SPUR DES FALKEN und DER DRITTE MANN. Ich untersuchte die eindrucksvolle Eröffnungssequenz von IM ZEICHEN DES BÖSEN. Ich sagte mir: „Okay, Film bietet zahlreiche Möglichkeiten des Ausdrucks, du musst bei den Dreharbeiten einfach deinem Instinkt folgen. Solange du dich auf deine eigene Weise ausdrückst, vermeidest du die Gefahr der Wiederholung.“ Ich mag starre Einstellungen, aber keine langen Kamerafahrten. Ich liebe den Einfallsreichtum des Stummfilms. Ich spiele auch gern mit Konventionen: ‚logisches‘ Verhalten, die strikte Grenze zwischen Gut und Böse oder einfach gestrickten Figuren mit offensichtlichen Motiven. Diese Dinge wollte ich ergründen und revidieren. Um es einfach auszudrücken: Selbst Genrefilme sollten nicht Gefangene ihrer eigenen Regeln sein. Persönlicher Stil ist nichts Feststehendes. Es ist vor allem eine Frage der einem jeden Film innewohnenden Möglichkeiten und Impulsen. Wenn man sich die Filme der großen Meister ansieht, findet man immer etwas Unerklärliches. Ich hoffe, mein eigener Stil in diesem Film ist einfach und stark.
Alle Ihre Filme beschäftigen sich mit dem Thema Vertrauen: Wie viel kann (oder sollte) man einander glauben? Warum beschäftigt Sie das so sehr?
Es geht mir weniger um Vertrauen als darum, wie wir in die Welt eines anderen eindringen, sein Gebiet, seinen Raum. Polizeiermittlungen sind ein Beispiel dafür. Wenn die Polizei eine Szene betritt, stehen sich tatsächliche Wahrheit und scheinbare Wahrheit gegenüber. Die Polizisten können das Gefühl haben, sie hätten die tatsächliche Wahrheit aufgedeckt – obwohl sie es vielleicht nicht haben. Der Prozess der Suche und des Aufdeckens ist oft sehr aufregend und erzeugt dramatische Spannung. Unsere eigene Erfahrung sagt uns, dass die Kluft zwischen Schein und Sein bis zu einem gewissen Grad beeinflusst, wie wir einander vertrauen. Im Extremfall kann sie uns auch in den Wahnsinn treiben. Beim Film stimmt die Kluft zwischen Schein und Sein überein mit der Klimax der Narration. Das klingt alles sehr analytisch, aber es geht eigentlich nur darum, wie effektiv man die Emotionen des Zuschauers einfängt.
Der englische Titel (BLACK COAL, THIN ICE) unterscheidet sich vom chinesischen Originaltitel. Der englische Titel bezieht sich offensichtlich auf zwei zentrale Bildmotive: Kohle (schwarz) und Eis (weiß). Der chinesische Titel bezieht sich auf eine konkrete Szene im Film, suggeriert aber auch eine metaphorische Bedeutung – vor allem, weil ein großer Teil des Films nachts spielt. Weisen die beiden Titel auf verschiedene Aspekte des Films?
Der Unterschied zwischen den beiden Titeln spiegelt den Unterschied zwischen Realität und Traum: Kohle und Eis sind real, ein Feuerwerk am Tage ist surreal. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Schwarze Kohle ist dort, wo die Leichenteile gefunden werden, und weißes Eis ist der Ort, wo ein Mord geschah. Zusammen erzählen sie die Fakten des Mordfalls. Wenn man den Film noch nicht gesehen hat, stellt der englische Titel einen scharfen Kontrast auf, der etwas verwischt, wenn man den Film schaut und sieht, wie die Fakten des Falls zusammen passen. All das stärkt die realistischen Aspekte des Films.
Der chinesische Titel ist dagegen etwas Fantastisches, eine Art Katharsis, die Menschen benutzen, um sich vor der harten Welt um sie herum zu schützen. Durch die Verwendung dieses Titels behaupte ich auch, dass die Menschen in China diese Art von Katharsis bitter nötig haben. Ich habe versucht, nicht in die Sentimentalitätsfalle zu tappen, indem der Film nichts als eine grausige Verstrickung romantischer Bindungen anbietet. Aber ich wollte einen starken Eindruck hinterlassen! Es ging mir vor allem um unsere Fähigkeit, moralische Entscheidungen zu treffen. Menschen müssen sich bewusst entscheiden anstatt blind Anweisungen zu folgen, die sie nicht hinterfragen.
Das Schicksal des Protagonisten Zhang Zili, der vom Kriminalinspektor zum einfachen Wachmann absteigt, erinnert unweigerlich an ihren Debütfilm UNIFORM, in dem ein junger Mann vorgibt, Polizist zu sein. Gibt es da einen Zusammenhang?
Alle meine Figuren bewegen sich an der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit. Ihre Leben sind schwierig. Man könnte sagen, sie mogeln sich durchs Leben. Ich sympathisiere sehr mit ihnen und versuche ihnen zu helfen, sich durchzusetzen. Das ist auch mein Antrieb bei meiner Arbeit am Theater. Für mich sind meine Figuren eine Art Alter Ego, Ausdruck meiner Tagträume. Sie sind ein bisschen egoistisch, ein bisschen zynisch, ein bisschen einsam und clever. Ich habe keine Ahnung, wohin sie gehen, wie und wo sie enden. Aber sie verlangen nicht nach Anerkennung. Sie sind Gefangene ihrer eigenen Gedanken. Sie leben in ihrer eigenen Welt.
Das Interview wurde geführt von Tony Rayns (britischer Filmkritiker, Festivalkurator und Drehbuchautor) im Januar 2014.
Pressematerial vom Weltkino Filmverleih GmbH 2014
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