Filmrezension “Feuerwerk am hellichten Tage”
Aus der Kohle, die kühlen Kufen
Entlang einer Reihe von Mordfällen wandert Diao Yinans ‘Feuerwerk am helllichten Tage’ durch die trostlosen Randzonen des chinesischen Wirtschaftbooms – und steht doch eher visuell auf Motive.
Kohlebeschmierte Leichenteile auf dröhnenden Fliesbändern, massive Kühltürme aus Beton und knirschender Schnee. Gräue soweit das Auge reicht. Mit Einbruch der kalten Jahreszeit spricht Feuerwerk am helllichten Tage aus der Seele.
Femme Fatale aus Rong Rongs Waschsalon
Der in Ungnade gefallene Ex-Detektiv Zhang schleppt sich täglich verkatert in die Arbeit. Die Wäscherin Wu erträgt ihre pöbelnden Kunden und den übergriffigen Chef mit einem Gesicht aus Stein. Man weiß nicht, was diese Frau so wortlos macht, aber es riecht nach schwarzer Witwe. Alle Männer, die ihr näher kamen, verstarben plötzlich.
Hat diese Frau womöglich etwas mit den ungelösten Mordfällen von 1999 zu tun, die Zhang im Jahr 2004 noch mal hervorkramt? Mit dem abgetrennten Unterarm, der gleich zu Beginn aus einer Kohleladung hervorreckt? Und was ist mit der Asche ihres Mannes, die Wu so unbedarft am Gehsteig vor dem Waschsalon vergräbt?
Spotlight auf was anderes
Die Antworten hierzu erzählt Diao in seinem nun dritten Film langsam. Anfangs noch ein wenig action-geladen mit einer unerwartet tarrantinoesken Kampfszene im knalligen Friseursalon; später distanzierter und scheinbar ziellos. Zhang wandert so viel umher, beobachtet und wartet, dass selbst die Kamera manchmal wegdriftet: auf den zerquetschten Käfer, der sich auf dem Bettlaken ausbreitet oder die zerdrückte Coladose zu Zhangs Füßen. Die intensive Geräuschkulisse von raunenden Motoren und von frostig knarzenden Stiefeln ist Diao mindestens genauso wichtig wie das, was gesagt wird.
Auf der Leinwand sehen wir eine beengende Liebesgeschichte, dennoch wirken die Liebenden sich nie nah. Eher bedrohlich; man möchte raten, wer zuerst ein Messer zieht. Die Geschehnisse verpuffen oft ungesagt, wie unter Schnee, so dass ihre Konsequenzen nur als schummrige Schatten im Hintergrund schwelen.
Motiv: eine gewaltige Winterdepression
Zuletzt interessiert das „Wer wars?“ kaum. Die Motive und Tathergänge sind unkompliziert und kaum in die Handlung eingeflochten. Geständnisse erfolgen oft unerwartet, manchmal auch unmotiviert. Auch an dem Mordinstrument ist – in einem schmerzhaften Akt von inquisitorialer Justiz – einzig die Polizei interessiert. Und wer weiß, vielleicht war es am Ende doch jemand ganz anderes.
Vielmehr legt der Film – ähnlich Jia Zhangkes A Touch of Sin – nahe: “bei dem Industriedröhnen, in einer engen Stadt voll Zwielichtiger und bei der frostigen Nässe, wie soll ein Mensch denn nicht zur Schlittschuhkufe greifen?“. Ganz gemäß der soziologischen Determinante: Gewalt schafft Gegengewalt; äußere Kälte Innere.
Auf der Berlinale 2014 brachte dieser Film dem Regisseur Diao bekannterweise den Goldenen und dem Schauspieler Liao Fan den Silbernen Bären ein. Auch auf dem chinesischen Filmmarkt war Diao von Erfolg gekrönt. An den staatlichen Zensuren Chinas glitt er bemerkenswert glimpflich vorbei und spielte innerhalb der ersten zwei Wochen ganze 12,8 Millionen US$ ein.
Ja, das Zuschauen verlangt einen langen Atem und auch die ewig-nur-ertragende Protagonistin hätte etwas mehr Film Noir typischen ‚sass and zing’ vertragen. Trotzdem lohnt es sich. Mit unerwarteten Stilelementen, spektakulären Schauplätzen, einer durchdachten Erzählung und mit schlauer Kamera und Ton ist Feuerwerk bei helllichtem Tag ein wirklich solide guter Film.
Ab dem 6. November gibt es “Feuerwerk am helllichten Tage” auf DVD. Sagt uns, was ihr über den Film denkt!
Autorin: Sabine Scheuring